
Felicitas von Kyaw im Interview mit Tanja Sedlmeier.
Felicitas, was war in Deiner Zeit als CHRO / Executive HR Leader der entscheidende Hebel, um Menschen für große Transformationen zu gewinnen?
Felicitas von Kyaw: Einfache Rezepte gibt es nicht. Drei Faktoren haben sich jedoch für mich immer wieder als besonders wirksam erwiesen:
1. Orientierung im Warum
Menschen folgen Sinn, nicht Prozessen. Purpose wirkt als Energiequelle, weil er Rationales (Strategie, Ziele) mit Emotionalem (Teil von etwas Größerem sein) verbindet. Entscheidend ist die Balance aus großer Perspektive (Vision, langfristige Ziele) und konkreten nächsten Schritten. Transformation wird nur akzeptiert, wenn die Frage „Warum müssen wir das ändern?“ verständlich, glaubwürdig und transparent beantwortet ist – und wenn auch die Dimension „What’s in it for me?“ mitgedacht wird.
2. Führung als Haltung
Menschen folgen Menschen. Wirksam führen heißt: glaubwürdig, empathisch, geschlossen. Das Rollenbild wandelt sich von der klassischen „Ansagerrolle“ hin zu Explorer, Scout und Co-Pilot: jemand, der Orientierung gibt, gemeinsam mit dem Team Neues erkundet und gleichzeitig Sicherheit vermittelt. Leadership im Wandel bedeutet Ehrlichkeit über das Nicht-Wissen, Mut zu Unsicherheit und die Fähigkeit, Vertrauen und Energie im Team auch in Ambiguität zu halten.
3. Einbindung und Mitgestalten
Wer mitwirken kann, trägt Veränderungen leichter mit. Co-Kreation stärkt Motivation, Verantwortung und Identifikation. Dafür braucht es Räume für Dialog, Feedback und gemeinsames Lernen. Haltungsmuster wie Mut, Offenheit, Lernbereitschaft und Resilienz sind keine individuellen Luxusfähigkeiten, sondern müssen systemisch ermöglicht werden. Wer im Kleinen mitgestalten darf, nimmt den Wandel auch im Großen ernst.
Kurz gesagt: Transformation gelingt, wenn Orientierung (Sinn), Führung (Haltung) und Einbindung (Teilhabe) im Dreiklang wirken.
Welche Eigenschaften machen Führungskräfte heute erfolgreich und warum reichen klassische Management-Skills dafür nicht mehr aus?
In unserer komplexer werdenden Welt ist Führung gefragt, die Sinn stiftet, Rahmenbedingungen gut gestaltet, Verantwortung überträgt und den Beitrag jedes Einzelnen sichtbar macht. Nur so können Menschen ihre Stärken entfalten und ihre Expertise wirksam einbringen. Begriffe wie Eigenverantwortung, Selbststeuerung, Experimentierfreude, Teamorientierung und Vernetzung sind längst entscheidend und markieren einen echten Paradigmenwechsel.
Gerade in unsicheren Zeiten braucht es neben mutiger Führung auch mutiges Selbstvertrauen. Führung heute bedeutet auch gute Selbstführung:
- Kurs setzen und Entscheidungen treffen – Orientierung geben
- Zusammenarbeit stärken – denn Veränderung ist Teamsport
- Vertrauen, Zutrauen und Selbstvertrauen bewahren – in sich selbst und in das, was kommt
Mit Blick auf moderne Führungseigenschaften werden positive Energie und persönliche Balance, Servant Leadership, kontinuierliches Lernen und Demut, Resilienz und Durchhaltevermögen, Humor (Leichtigkeit) sowie nachhaltiges Denken (Stewardship) in aktuellen Studien seitens McKinsey betont.
Welche „Future Skills“ sind in den nächsten 5 Jahren unverzichtbar, sowohl für Führungskräfte als auch für Talente?
Der technologische Wandel schreitet rasant voran, vor allem in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Big Data, Netzwerken und Cybersicherheit. Doch neben diesen technischen Kompetenzen bleiben menschliche essenziell. Zu den wichtigsten Future Skills gehören kreatives und analytisches Denken sowie Selbstwirksamkeit, die sich in Neugier, lebenslangem Lernen und Resilienz ausdrückt.
Für viele Berufe wird die Kombination aus technologischen und menschlichen Fähigkeiten zur Schlüsselqualifikation, um den Wandel der Arbeitswelt erfolgreich zu gestalten. Moderne Führungskräfte müssen diese Fähigkeiten frühzeitig entwickeln, um ihre Teams sicher durch komplexe und unvorhersehbare Herausforderungen zu steuern und Innovationspotenziale auszuschöpfen.
Aus Deiner Sicht als ehemalige CHRO und heutige Beraterin: Was müssen Unternehmen tun, um in Zeiten wie diesen langfristig erfolgreich zu bleiben?
Langfristiger Erfolg gelingt nur durch konsequente Ausrichtung am Markt bzw. am Kunden und eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Strategie, Organisation, Fähigkeiten und Kultur. Unternehmen müssen klare strategische Ziele definieren und systematisch zukunftsweisende Kompetenzen bei Führungskräften sowie Mitarbeitenden aufbauen.
Dabei ist wichtig, Veränderung als Dauerzustand zu sehen und eine unternehmensweite Fähigkeit zur schnellen und wirksamen Anpassung zu kultivieren. Wer eine moderne, sinnorientierte Unternehmenskultur lebendig hält und den Wandel aktiv angeht, bleibt auch in unsicheren Zeiten wettbewerbsfähig und resilient.
Warum wird das Modell „Fractional Executive“ für Unternehmen immer wichtiger?
Das Modell „Fractional Executive“ gewinnt stark an Bedeutung, weil es Unternehmen ermöglicht, flexibel und auch kosteneffizient erfahrene Führungskompetenz punktgenau für spezifische Projekte oder Phasen zu gewinnen, ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen.
Fractional Executives bringen tiefgehende Expertise und praktische Führungserfahrung mit und übernehmen Verantwortung operativ und strategisch auf Zeit. So steigern Unternehmen ihre Agilität und Reaktionsfähigkeit in einer schnelllebigen, digitalen Welt. Das Modell ist besonders gut geeignet für solche, die spezifisches Know-how nur temporär und zielgerichtet benötigen.